... oder was bei der Urs zwischendurch so los war...
(man stelle sich diesen offenen Brief bitte im netten Tonfall mit einem leichten Lächeln vor)
Lieber Chef!
Ende letzten Jahres durfte ich bei dir ein Praktikum machen. Es war wirklich nicht leicht, mich wieder in den alten Beruf einzuarbeiten. Schon zu Anfang war klar, dass wir nicht die besten Freunde werden. Aber das war okay. Und ich hab mich durchgebissen. Hart gearbeitet, viele Überstunden gemacht. Teilweise so viele, dass Familie und Freunde darunter gelitten haben. Auch das war okay, das gehört manchmal einfach dazu. Wir sind öfters mal aneinandergekracht, du wurdest laut. Ich weiß, du bist Choleriker. Du hast dich immerhin manchmal entschuldigt. Auch das war okay. Ich hab mich irgendwann dran gewöhnt. Zum Jahresende hast du mich dann übernommen. Eigentlich ein Grund zum Freuen.
Um die Feiertage hast du meine Vorgesetzte entlassen, weil sie zu oft krank war. Ich hab ganz selbstverständlich ihre Rolle übernommen, weil es Not tat. Noch mehr Überstunden gekloppt, weil es wichtig war. Krank auf der Arbeit erschienen, wie auch der Rest. Ich wollte, dass die Firma vorankommt. Du sagtest, es wäre jetzt etwas blöd für mich, weil ich in Vorleistung gehen müsste. Bei gleicher Bezahlung mehr arbeiten. Das ist okay, das macht man gerne. Du schienst auch soweit zufrieden. Wie schön.
Im neuen Jahr änderte sich einiges. Du hast viele neue Praktikanten eingestellt, deren Vorgesetzte ich nun war. Ich durfte ihnen helfen, ihre Arbeit kontrollieren und ihre Fehler verbessern. Dazu noch Telefondienst. Das war wirklich viel und ich wusste teilweise echt nicht, wie ich mit der Arbeit zurande kommen sollte. Alles musste schnell gehen - und wer schnell arbeitet, macht sicherlich auch mehr Fehler. Du wurdest zunehmend unzufrieden. Das Kind wurde öfters krank und Überstunden konnte ich auch nicht mehr so leicht machen. Ich hab dir auch erklärt, warum. Ich durfte mir anhören "Wir sind keine soziale Einrichtung". Mag sein, aber was soll ich mit dem Kind tun? Wir haben sonst keinen. Du hast zweimal verschlafen, sagst du. Richtig. Du erwähnst aber auch nicht, dass ich die Zeit jedes Mal nachgearbeitet habe und es dann nicht mehr vorgekommen ist. Du kommst alle naslang zu spät, sagtest du. Auch das ist so nicht richtig. Ich kam immer vor der vertraglich geregelten Zeit. Dass dir das aber zu knapp ist, das sagtest du mir erst recht spät. Also kam ich von da an noch früher. Deine Mutter kontrollierte mich da "dankenswerterweise" immer sehr genau. Lob habe ich in dieser Zeit von dir selten bekommen. Nur die Kollegen haben gemerkt, was ich eigentlich leiste und haben das auch honoriert. Gespräche unter uns endeten meist damit, dass du mir irgendwelche Unzulänglichkeiten vorwarfst. Ich kam mir irgendwann vor, als wäre all meine Arbeit nur ein dampfender Haufen Unflat. Klar mache ich Fehler, die macht jeder. Du nicht? Ich habe deine dauernde Unzufriedenheit gehasst und dass du mich so oft angeschrien hast. Entschuldigungen waren scheinbar auch nicht mehr vonnöten. Ich bin von da an nicht mehr mit dir ins Gespräch gegangen und hab auch meinen immensen privaten Stress für mich behalten.
Bis letzte Woche, letzter Tag der Probezeit. Da sagtest du: wir trennen uns von dir. Super. Mir wäre fast die Kinnlade runtergefallen. Die Gründe dafür klangen mir irgendwie etwas... aber gut, ich will dir nix unterstellen. Ich war bei Facebook online. Ja. So wie die anderen Kollegen, aber das habe ich dir nicht gesagt. Du wusstest es und hast bis zu diesem Tag nix gesagt. Wie so oft. Ich wäre unmotiviert ("Du hast lang keine Überstunden mehr gemacht"). Komisch, das siehst nur du so - hier unterstelle ich dir aber, dass du es nicht anders sehen möchtest. Auch dein Punkt, dass ich dir nicht zuhöre. Das tue ich und jeder weiß es - außer dir. Wir sprechen nicht die gleiche Sprache und es wäre zu anstrengend für dich, meine zu lernen. Ja, wir scheinen wirklich unterschiedliches Deutsch zu reden. Oder ich manchmal wirrisch. Ich ging allerdings davon aus, dass meine Arbeitsleistung dich darüber hinwegsehen lässt. Scheinbar nicht. Ich nehme die Firma nicht ernst. Ah ja. Natürlich ist es so, dass ich nach Feierabend gern die Arbeit aus meinem Kopf streiche - ist doch irgendwie normal? Ich stehe um 4 auf und gehe um 9 ins Bett. Ich habe Familie. Ich weiß ja nicht wie du es machst, aber wenn das für dich wirklich ein Grund ist, dann schuldig im Sinne der Anklage. Das Kind war krank. Right. Öfters sogar. Ich hab mich dafür auch mehrfach entschuldigt und dir erklärt, warum ich zuhause bleiben muss. Anfangs sagtest du mir "wir haben gute Erfahrungen mit jungen Müttern gemacht" - Ich frage mich, was das für Mütter sind, deren Kinder nicht krank werden. So eine haben wir nämlich auf der Arbeit nicht.
Komischerweise sehen die Kollegen das alle ganz anders und sind entsetzt. Klar, ich hab die meiste Erfahrung in dem Bereich, kann alte Schrift lesen und mein Freakwissen anbringen. Bestimmt haben sie auch Angst, dass sie die Arbeit nicht schaffen und die nächsten auf der Liste sind. Sicher nicht ganz unbegründet.
Wie auch immer, du bist der Chef, du hast Recht. Ich kann sagen, was ich will und es braucht dich nicht zu interessieren. Probezeit halt. Ich kann aber partout nicht ertragen, dass du meine Person und meine Arbeitsleistung so schlecht machst.
Ganz unter uns: ich sehe dich irgendwann allein im Büro sitzen. Jeder, dem ich von dir erzählt habe, hat gesagt: mach das nicht mehr mit. Kündige. Ich wollte es eigentlich nicht. Danke, dass du mir die Entscheidung abgenommen hast.
MfG, Urs
P.S.: Lieber Leser. Ich möchte an dieser Stelle mein absolutes Entsetzen darüber zum Ausdruck bringen, was der Arbeitsmarkt manchmal für eine rechtlose Zone ist. Gerade für junge Mütter ist das doch desaströs. Ihr wollt, dass wir Kinder bekommen - schert euch aber einen feuchten Kehricht darum, ob wir Arbeitsplätze bekommen oder behalten. Das ist nämlich als Elternteil gar nicht so leicht. Wundert sich da noch jemand über die wirtschaftliche Lage? Ich nicht.
Ich wünsche allen, die sich momentan umorientieren oder neu bewerben einen guten Neustart, viel Erfolg und einen nette(ren) Chef!
Dienstag, 7. Juni 2011
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